5. Tag

 

So fühlt man sich, wenn man seine Herde verlassen hat!

 

Nein, ja, ich bin schon ein bißchen traurig und der Abschied von den anderen hat mich schon ziemlich gekrüpfelt. Wir haben noch zusammen gefrühstückt, dann sind sie in die eine Richtung weitergegangen und ich in die andere zum Bus nach A Coruna. Fragt nicht! Aber ich freue mich auch auf diese Stadt, von der ich so viel gelesen habe.

 

Kinders, sich dort am Meer orientieren zu wollen ist ein groooosser Fehler! Ich wollte vom Busbahnhof zum Leuchtturm laufen und war nach einer knappen Stunde weiter weg als vorher. Für solche Fälle hat der liebe Gott den Menschen den Bus erfinden lassen und als ich so mit dem durch die Stadt tuckerte,  dachte ich nur, nee, ne! Heideröslein! Das hätte ja Tage gedauert!

 

Aber was lange währt, wird am Ende doch gut und ich habe in meinem Credencial einen wunderschönen Stempel mit dem Leuchtturm umringt von Jakobsmuscheln. A Coruna ist für Pilger gerüstet! 

 

 

Nein, im Ernst: A Coruna war seit jeher Ausgangspunkt für Pilger aus England und Skandinavien, die für die Stadt sehr wichtig waren ... also bevor die Touristen in Scharen von Kreuzfahrtschiffen herunterschwärmten und die Stadt fluteten. So wichtig, dass sie ihr Symbol, die Muschel, gleich sieben Mal in ihrem Wappen trägt.

 

Ebenso wichtig und darum ebenfalls im Wappen ist der Leuchtturm, den ihr auf den beiden Bildern im Hintergrund seht. Er heißt Torre de Hércules und ist der älteste noch betriebene seiner Art (irgendwie bin ich mit meinem Bauch wohl noch zu sehr bei meiner Herde, entschuldigt bitte).

 

Freilich könnte ich es mir leichtmachen und wieder in die Stadt zurückfahren. Mach ich aber nicht und das ist eine gute Idee, denn die grünen, nicht bebauten Landeszipfelchen sind komplett ein Freilichtmuseum mit wunderschönen Skulpturen und Installationen, die zuweilen nicht immer einen schönen Hintergrund haben. Gleich neben diesen Menhires por la Paz (Hinelsteine des Friedens) befindet sich nämlich ...

 

 

... das Monumento los Fusilados da Republica auf dem Campo de la Rata. Ich weiß, Franco ist ganz vielen kein Begriff mehr oder nur noch bruchstückhaft. Schließlich ist er 1975 gestorben, das ist ja schon eine gute Weile her. Darum hier ganz kurz: Er regierte nach einem Putsch und einem niedergeworfenen Bürgerkrieg Spanien als Diktator. Und er tat das, was Diktatoren eben so tun: Er krapschte nach allen Zügeln, brachte Presse und Berichtserstattung unter seinen Stiefel, bestimmte, welche Sprache gesprochen werden durfte (Galego z. B. war verboten) ... Es kam erst zu Vehaftungen von politischen Gegnern, Widersachern, Freiheitskämpfern, Liberalen oder einfach nur Menschen, die nicht seiner Meinung waren und schließlich zu deren Hinrichtung ... u. a. genau hier.

 

 

Also ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich ist es, wenn ich an solchen Orten war, immer schwierig, wieder in einen normalen Modus zu finden. Auch beim Schreiben. Ich probier es trotzdem:

 

Ich schlendere also in Richtung Innenstadt und versuche, auf kürzestem Weg so viele Sehenwürdigkeiten wie möglich "mitzunehemen". Immerhin bin ich ja - räusper, räusper - gut vorbereitet ... Naja, die Jakobskirche finde ich auch relativ schnell.

 

Die ist für alle Pilger fast so etwas wie ein Muss, weil sie 1. eben dem Heiligen unsere Pilgerei geweiht ist und es 2.  einen Stempel gibt.

 

So lieb mir das Heilige Jaköbchen ist, in dieser Kirche finde ich die Figuren der Muttergottes noch viel interessanter. Einmal begegnen wir ihr schwanger (der Señor, der mir den Stempel gegeben hat, hat sich bei diesem Wort schier die Zunge verrenkt! Dann haben wir lauthals lachend (und das in einer Kirche! So menschlich kann ein Gotteshaus sein! Aber wir waren auch alleine und haben niemanden in seinem Gebet gestört ) abwechselnd er das Sch  und ich das Rrrr  geübt), die hand liebevoll und schützend auf den gewölbten Bauch gelegt (bei uns ist ihre Schwangerschaft doch höchstens ein Thema in der Weihnachtsgeschichte und auch da nur, dass es ein Unding ist, eine schwangere Frau in einen Stall zu schicken) und einmal als María de Leche, Maria der Muttermilch, stillend mit dem Kind an der Brust. Genau das sind doch die beiden ganz besonderen Attribute einer Mutter und so mit dem Leben verbunden und so viel schöner als als Pietà, der schmerzhaften Muttergottes mit dem Tod in den Armen. Und genau so wird Maria in Spanien so besonders und hoch verehrt: als Mutter Gottes. - Vielleicht liegt es daran, dass ich ja nunmal auch eine Mutter bin, aber mich berührt das ganz tief.

 

Als ich endlich in einer Bar ein Frühstück bestelle ... ist die Dame ein wenig irritiert. Hier muss ich anmerken, dass Zeit und Rucksack bei mir nicht zusammenpassen. Entweder ich habe das eine oder das andere ... Nee, ist blöd, weil ich nehme mir ja ganz viel Zeit, wenn ich mit der Kiepe unterwegs bin, aber ich achte eben nicht auf sie. So gar nicht. Und inzwischen ist es schon nach 13.00 Uhr, das ist es der Dame nun nicht wirklich zu verdenken, dass sie ... wahrscheinlich denkt, ich habe einfach nur die falsche Vokabel erwischt. Aber mehr als gerade mal eben satt rutscht bei mir immer direkt in die Füße und wird dort zu Stein und nach Herzhaftem ist mir auch nicht. Ich brauche jetzt süß.

 

 

 

Oh, den Rathausplatz Praza de María Pita zeige ich euch auch noch schnell, weil ich ihn so schön finde. Aber bitte seid nicht böse, wenn ich euch die Geschichte diser Dame vorenthalte. Es ist ja nun nicht mehr ganz früh und ich habe noch einige Kilometer vor mir!

 

Ist das nicht ein schönes Bild von unterwegs? - Lasst euch nicht täuschen. Da ist es ... wieder schön. Zwischendurch war ich mir allerdings nicht immer sicher, dass ich da auch unbeschadet hinkomme. Dass ich erst halb aus A Coruna hinauslaufen musste, um die erste Markierung zu finden, war nicht schlimm, denn ich war ja vorbereitet. Aber dann kam ein Punkt ... Heideröslein! Das geht gar nicht! Augen zu und durch ist da völlig daneben, Augen auf und beten passt da viel besser. Oder fluchen. Laut fluchen. Richtig laut fluchen. Alles ist erlaubt! Wenn jemandem da die hässlichen Worte ausgehen, darf er sich gerne an mich wenden, ich glaube, ich habe keins ausgelassen (und glaubt mir, mein f-wortiges Sahnemützchen von vorgestern sieht hinter dem, was ich so gebrüllt habe, aus, wie ein tugendhaftes Gänseblümchen).- Aber was soll ich sagen? - Ihr seht ja, ich schreibe noch. Und weil ich gedacht habe, dass ich diese Stelle auf gar keinen Fall beschreiben will, habe ich geguckt und siehe da: Es geht auch anders. Gut, dass ich das jetzt weiß!

 

 

Wie auch immer: Bis O Burgo geht es dann sehr nett an der Ría entlang und ich überlege schon, ob ich nicht hier bleiben soll. Ich bin ja noch nicht weit, aber durch meinen Irrweg von heute Morgen doch ziemlich geschafft. Nach einer Cola mit Zucker und einem großen Teller Chips bin ich aber wieder ganz gut hergestellt und gehe doch weiter. Zur nächsten Herberge schaffe ich es allerdings nicht mehr, aber ich finde zwei Pensionen, die direkt nebeneinander und am Weg liegen. Die Dame der ersten ist mit "no tengo" und auf dem Absatz umgedreht nicht gerade ein Ausbund an Freundlichkeit, aber in der zweiten werde ich mit Cola und Schnittchen zu den Kräften gebracht, die ich dann in meinem Zimmer - nein - in meinen Zimmern brauche. Ich kriege nämlich ein Familienzimmer mit vier Betten. Jetzt kan ich Betthopping machen. Und nein, ich soll bitte nicht vorne in einem der Einzelbetten schlafen, sondern es mir hinten im Doppelbett gemütlich machen. Ist das lieb?!

 

Oh, meine Herde hat mir gerade ein Gruppenfoto geschickt! Kann mir jemand sagen, wie ich das Handy so stelle, dass es nicht alle paar Sekunden ausgeht, sondern wenigstens so lange anbleibt, bis ich eingeschlafen bin? Dann kann ich es mir neben das Bett stellen :)