7. Tag

Irgendwie fühle ich mich völlig falsch hier. Gestern war ich die Letzte, die noch ein Bett bekommen hat, und heute ... nee, ne! Schon wieder fast die Letzte!

 

Dank Stöpsel in den Ohren unf Buff über den Augen bin ich völlig herausgenommen aus dem allgemeinen Aufbruch und als endlich auch ich aufwache, sind die Betten um mich herum schon leer. Dabei ist es draußen noch dunkel!!! Erst überlege ich aufzustehen, aber dann drehe ich mich noch einmal um. Nein, eine Nachtwanderung muss und will ich mir nicht geben. Trotzdem ist der Tag noch gar nicht richtig da, als ich losgehe ... Wobei, ich muss schon sagen: Morgendämmerungen habe ich schon auf meinen Caminos Francés auf der Meseta sehr genossen und die heutige ist um keinen Deut weniger schön!

 

Hm. Eigentlich will ich mir auch den Asphalt nicht mehr geben, über den ich nun erst einmal kilometerlang herumzuckeln muss.  Aber da hilft ja nunmal rein gar nichts etwas, da muss ich durch.

 

Aber jetzt Mal ganz im Ernst? Dies ist nicht mein Weg. Die Straßen hängen Nr zum Hals heraus. Natürlich sind die Wirtschaftswege zwischendurch richtig schön, aber sie enden viel zu schnell wieder auf der nächsten Straße.- Gut, wenn ich mir jetzt mal selbst kritsch ins Gewissen gucke, muss ich zugeben, dass mein Unmut sicher auch damit zusammenhängt, dass ich auf der Strecke von A Coruna hierher fast ausschließlich auf Asphalt habe gehen müssen. Das waren ja fast 100 % Straßen. Von Ferrol aus waren es ... hm ... vielleicht 85 - 90 % und die waren meistens sehr schön. Aber mir fehlen die Naturwege einfach total. Ich dippel vor mich hin und träume von Fußpfaden durch Wiesen und Wälder, gerne auch bergauf, gerne auch streng bergauf, aber eben fußpfadig.

 

Für "Schnupperpilger", die vielleicht mit Wandern nicht so geübt sind und mal einen Camino ausprobieren möchten, sind allerdings beide Wegvarianten eine tolle Gelegenheit! Und ich kann nicht behaupten, dass es unterwegs nicht so einiges zu Gucken gäbe - wie diesen Traktorbogen, den ein Künstler hier aufgestellt hat.

 

Nach einem Frühstück nach fast 8 km - aber morgens sind die Füße ja noch frisch und flink, überlege ich sogar noch, ob ich es heute nicht vielleicht nach Santiago schaffe. Nicht weil mich irgendwie etwas hetzt, sondern nur, weil ich dann .... Ach, gejammert habe ich jetzt genug.

 

 

 

Dann kommen aber wieder schöne Abschnitte, die mir das Herz wieder leichter werden lassen. Leicht ist es mir auch noch am Anfang eines schier endlosen, geraden Stücks durch den Wald. Der Weg ist breit und schattig. Erst denke ich noch froh, dass es hier auf alle Fälle schöner ist als auf der Straße - wie schön! ... Später, dass es ja immerhin schöner ist als auf der Straße. ... Und nach und nach muss ich mir dieses Schöneralsaufderstraße wirklich schönreden. Ich mache eine Rast auf einem Seitenweg und setze zum Enspurt an ... aber es ist kein Ende in Sicht und der Spurt verliert sich schnell in lustlosem Geschleppe.

 

Auf einem Feld kurz vor der Stadt spricht mich eine ältere Dame an und versichert mir, in nur 2 Minuten hätte ich es geschafft. - Hallo! Diese Senora toppt alles spanische Zeitgefühl! Hätte sie mir von ihr aus gesehen mit den Fingern 12 gezeigt, hätte sie von mir aus gesehen den Zeiger auf den Kopf getroffen, aber 2? Nee, ne!

 

Endlich, endlich komme ich an die erste Bar, lasse mich auf einen Stuhl fallen und muss selbst eine Stunde später noch wirklich mit mir kämpfen, meinen Rucksack wieder zu schultern und weiterzugehen. Ich habe gerade so ganz fertig mit Lust. Bin ich  Pilger mit Elan wie Flasche leer! Habe fertig! Fertig! Feeertigggg!!!!

 

Anstatt meinem Gedanken an Weitergehen nach Santiago zu  folgen zücke ich mein Handy und buche den nächstbesten Flug nach Hause. So!

 

Dann stupfel ich weiter und finde eine richtig nette Herberge, ganz neu, Einzelbetten, Damenschlafraum mit 4 Mitpilgerinnen ... Ein Traum! Als ich mich nach dem Duschen kurz hinlege, um meine Beine auszuruhen und meine Gedanken zu sortieren, gibt mir die Dame direkt neben mir eine kleine Hörprobe davon, was mir heute Nacht bevorsteht. Ich freue mich wie Bolle!

 

 

 

Ach, ich glaube, im Moment könnte eh passieren, was wollte: Ich bin jetzt einfach nur noch froh, wenn ich morgen in Santiago ankomme und übermorgen im Flieger nach Hause sitze. Ich bin furchtbar gerne in Spanien, ich bin furchtbar gerne unterwegs, ich laufe furchtbar gerne (allerdings lieber nicht auf Asphalt), ich trage furchtbar gerne meinen Rucksack, ich liebe Herbergen, ich liebe das Pilgern ... aber wenn mich das Heimweh packt, ist Hopfen und Malz verloren, alles zu spät, dem ist kein Gras gewachsen. Und genau an diesem Punkt bin ich gerade hoch drei: Ich will heim!

 

Wenn mir jetzt jemand eine gute Nacht wünscht ....!!!!!

 

Aber ich habe es aber ausprobiert: Mit Musik in den Ohren hört man Senora kaum noch ... wenn man sie laut genug stellt. Auf dem Frances hatte ich das schon Mal: Ich war so glücklich, mit nur drei Damen das Zimmer teilen zu müssen. - Fragt nicht! Das Schlimmste war, dass ich nachts auch noch einen Stöpsel verlor und er mir von oben aus dem Bett nach unten irgendwo auf den Boden fiel. Ich wollte ja nicht noch zusätzlich für Unruhe sorgen, indem ich herunterkletterte und ihn suchte, steckte den einen, Pfropfen, den ich noch hatte, in das obere Ohr und drückte das untere ganz feste ins Kissen. Ob das geholfen hat? - Nein, hat es nicht, aber ich habe gelernt und seitdem habe ich nachts immer einen Buff an. Den über die Ohren gezogen, verrutscht kein Stopfen mehr.