8. Tag

Angekommen! Und die nächsten Tage fahre ich beim Einkaufen mit dem Auto in die Geschäfte hinein- ich schwör!!! Heute habe ich mir den Rest gegeben ... dabei bräuchte es dafür gar nicht mehr viel. Der Asphalt der letzten Tage hat schon hervorragende Vorarbeit geleistet.

 

Die Nacht kam so, wie sie kommen musste. Dabei möchte ich über die Dame in meinem Nebenberuflich gar keinen ungehalten Ton sagen, denn 1. hat sie sich das ganz sicher nicht aus Bosheit ausgesucht und 2.war sie wirklich nett. Ich glaube, was mich am Ende eigentlich gestört hat, war mein Heimweh. Wäre ich anders drauf, hätten mir ihre Töne sicher nichts ausgemacht ... zumal ich mir mit meinen Pfropfen in den Ohren schon ein bisschen Mühe geben musste, sie überhaupt zu hören.

 

Um 5.00 Uhr habe ich es mir jedenfalls im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht und bald darauf wuselten die Ersten um mich herum. Also machte ich ein ausgedehntes Frühstück mit viel Kaffee und einem Magdalena (wie kann man nur gleich nach dem Aufstehen essen? Da ist mein Bauch doch noch im Schlafmodus!  ... Dafür ist er leider nachtaktiv.

 

Oh, da fällt mir ein, dass mir ein ganz lieber Pilgerbekannter gestern eine Nachricht schickte: Wer auch immer die Voodoopuppe von mir hat - hört auf sie zu füttern! Oh ja, dachte ich, das gilt für die von mir auch!

 

Ich wartete also, bis ich wenigstens ein bisschen sehen konnte, und dackelte von dannen.

 

Erst ging auch alles gut. Meine Aufzeichnungen passten hervorragend .... bis die Pfeile statt nach links nach rechts zeigten und dann gar nichts mehr stimmte.  Hm, dachte ich, es ist, wie es ist. Aber dann wurde ich stutzig: Auf den z. Teil angebrachten Holzpfeilen stand ganz oft etwas von offiziellem Weg. Also, wenn ich ganz offiziell mache, muss ich nicht immer bekräftigen, dass das offiziell ist, dann ist das einfach. Und noch eins schmeckte mir nicht: Es gab keine Muschelsteine. Hm. Aber alle laufen hier, dann kann es doch nicht ... Dann stand da auch wieder ein Muschelsteine. Ich guckte mich um und war genau da, wo ich es mir aufgeschrieben hatte.

 

Jetzt war ich neugierig geworden: Mal gucken, ob es noch mehr gibt. So wackelte ich den ganzen Weg wieder zurück und dachte dabei an die Pilger, die wieder von Santiago nach Hause laufen. Das ist gar nicht so einfach! Auf den anderen Wegen kommt erschwerend hinzu, dass man sich immer wieder mit den launigen Sprüchen entgegenkommender Pilger auseinandersetzen muss: Falsche Richtung! - Du bist verkehrt! - Nach Santiago bitte wenden!  Von denen bleibe ich hier komplett verschont, denn mir kommt niemand entgegen, dabei ist der Weg sogar rückwärts hervorragend nachzuvollziehen! - Dann hat mein Weg also auch gestimmt. Gut, dass ich das weiß! ... nach rund 5 km ... die ich nun alle wieder in die richtige Richtung stupfeln muss. Na klasse!, ich bin ein Held!

 

Es geht auch noch eine ganze Weile gut, aber dann werden mir die Füße ganz plötzlich erbärmlich schwer. Nur noch bis zur nächsten Bar ... immerhin weiß ich, wo sie ist ... was jetzt gerade nicht unbedingt ein Segen ist, weil ich weiß, wie weit ich noch laufen muss. Endlich angekommen frage ich nach Frühstück und werde von der Service-Dame völlig verständnislos angestarrt. Zum ersten Mal seit ich aufgebrochen bin gucke ich auf die Uhr: 12.30 Uhr. Seit meinem Frühstart heute morgen habe ich keine Pause gemacht und eigentlich wollte ich zeitig in Santiago sein. Jetzt habe ich mich vollkommen übernommen und noch ein ganzes Stück Weg vor mir.

 

 

Was sehr schön ist, ist, dass ich direkt beim Ankommen drei deutsche Damen wiedertreffe, die ich von Hospital de Bruma kenne. So bin ich nicht völlig alleine.

 

 

Was noch sehr schön ist: Man hat den Eingang zum Pikgerbüro von der Seite nach vorne verlegt, so dass man an einer kleinen Kapelle mit sehr schönem Santiagoaltar - fast so schön wie in Boente! - vorbeikommt. Ich bin ganz alleine drin und irgendwie ist das wohl mein Moment .... Als ich die Kapelle verlasse, spricht mich eine Voluntärin an, ob ich in Ordnung bin? -  Ja, bin ich, mehr in Ordnung als ganz oft beim Ankommen zuvor ... richtig in Ordnung! ... aus ganzem Herzen in Ordnung! ... Alles ist gut! Unglaublich, aber gut!

 

Ich glaube, wenn ich zum ersten Mal nach Santiago komme und nicht berührt bin, höre ich auf mit der Pilgerei.

 

Dank der Beschreibung der Voluntärin finde ich das Seminar in Menor schnell. Vor mir stehen drei deutsche Damen und als ich ihr .... Verhalten beobachte, denke ich nur: Naja, Caminofeeling wirkt eben nicht bei allen, hoffentlich muss ich mich nicht beim gleichen Herrn anmelden, der sichtlich immer angekrüddelter wirkt und das zu Recht. Aber heute ist irgendwie mein Tag! Dass er mich nicht hochkantig vor die Türe setzt, ist alles. Mit ganz viel Freundlichkeit erfahre ich gerade noch eben, dass ich in den 3. Stock muss ... In den 3. Stock! Nach 10 Extrakilometern, keinem Frühstück (die Dame in der Bar heute war nicht so nett wie die in A Coruna) und Heimweh, dass es mir die Fußnägel grauselt! - Hatte ich schon bemerkt, dass heute mein Tag ist?

 

 

Fragt nicht nach Sonnenschein!: Nun bin ich zwar im 3. Stock, aber bis ich meine Zelle gefunden habe, irre ich eine geschlagene Ewigkeit in der Gegend herum. Das ehemalige Kloster ist riesig und mein Gemach gefühlte 148 mal um die Ecke herum. Aber ich bin erfolgreich und schlappe zu den Duschen. Irgendwann ist mein Körper auch wirklich nass genug getropft, dass ich ihn - uff! - einseifen kann, was ich auch sehr glücklich tue ... ohne dabei daran zu denken, dass der Schaum ja auch irgendwie wieder von mir herunter muss. Nun denn, ich lerne daraus: Nicht herausgewaschenes Shampoo wirkt zuweilen wie Haargel und verleiht der Frisur einen gewissen Halt.

 

Ich mache ich mich wieder auf in die Stadt. Die Schlange am Pilgerbüro war mir vorher zu lange. Vielleicht ist es jetzt besser.  Da steht m zweiten Stock eine Dame, völlig erschöpft und aufgelöst mit ihrem Zettel und weiße nicht wohin. Dabei ist sie keine Deutsche. Hm. Die Herzlichkeit des Herrn an der Rezeption hatte also nichts mit mir oder den Scharunzeln vor mir zu tun ... vielleicht waren die ja auch nur so scharunzelig, weil er so nett war, und ich habe ihnen Unrecht getan. Nein, Kinders, schön Ankommen geht anders. So riesig diese Herberge ist, erwarte ich ganz sicher nicht,  dass die Angestellten zu jedem Ankömmling eine persönliche Beziehung aufbauen, aber ein bisschen Fingerspitzengefühl dafür, dass die gerade zum Teil mehrere Hundert Kilometer gelaufen sind (ich meine da vor allem die, die den ganzen Camino Francés oder die ganze Via de la Plata gewandert sind), das wäre schon schön.

 

Mir jedenfalls tut diese Pilgerin total leid. Ich habe zwar auch nicht wirklich Ahnung, aber ich glaube, das ist in diesem Moment auch gar nicht wirklich wichtig. Ich nehme sie bei der Hand - das ist gerade alles, was sie braucht: Jemanden, der sie bei der Hand nimmt - und gemeinsam finden wir ihr Bett, umarmen uns, beglückwünschen uns zur Ankunft und ich trabe davon, den Buckel hinunter, stadtseits fast wieder ganz hinauf ... da blitzt vor meinem geistigen Auge ein Bild auf, wie mein Credencial auf dem Tischlein in meiner Zelle liegt. - Hatte ich schon erwähnt, dass heute mein Tag ist? Also wieder den Buckel hinunter, hinauf zum Monasterio, in den dritten Stock, dreimal verlaufen, Credencial krabschen, wieder zurück - wo ist denn diese blöde Haupttreppe geblieben? - Ach da! -, den Buckel hinunter und hinauf, zum Pilgerbüro und .... Nein, die Schlange ist nicht kürzer geworden. Ich stelle mich an und beobachte die Menschen um mich herum, die sich hier zum Teil wiedertreffen, in den Armen liegen, vor Freude hüpfen, lauthals ratschen, jede Menge Spaß haben ... Es ist so schön!

 

Vor mir steht ein deutsches Ehepaar. Ich überlege noch, auch zu ratschen und zwar mit ihnen, aber sie sehen ziemlich abweisend aus und antworten mir sehr einsilbig. Okay, denke ich, die haben auch Spaß - nur eben anders. Aber die Spanier hinter mir sind total nett und so werden die 1,5 Stunden, die ich warten muss, sehr kurzweilig - 1,5 Stunden, von denen ein Voluntär behauptet, dass es die besten des Caminos sind: "Wenn du nach Hause wirst gekommen sein, du wirst denken an diese Stunde!" - Ich könnte ihn knutschen!

 

 

Dann sitze ich in der Kathedrale. Heute ist Freitag, also wird zum Gottesdienst der Botafumeiro schwingen und ... die Nonne singt! Sie singt! Ihr Gesang ist eienr meiner Lieblingshöhepunkte beim Ankommen. Einmal war sie nicht da und ich hatte schon Angst, dass sie irgendwie ganz weg ist. Eine gute Gelegenheit, schöne Dinge nicht für selbstverständlich zu nehmen. Aber heute ist sie da und singt schöner als je zuvor.Und ich sitze auch nicht alleine. Gut, die Dame aus Frankfurt neben mir ist keine Pilgerin, sondern "nur" Touristin, aber spielt das eine Rolle? - Nein. Sie ist nett und sehr herzlich und manchmal ist es gar nicht wichtig, dass jemand Ahnung von etwas hat, manchmal braucht man einfach nur eine Hand, ein nettes Wort, ein freundliches Lächeln.

 

Heideröslein!, seh ich auf dem Bild verkniffen aus! Aber das mit den Selfies ist noch nicht wirklich meine Sache. Ich muss immer genau gucken und mich verrenken, dass ich wenigstens ein bisschen von mir und dem, was ich sonst noch fotografieren möchte, aufs Bild kriege, da bin ich alles andere als entspannt!

 

 

 

Tja, meine Lieben, das war mein Camino Inglés. Mein Fazit: Für weniger trittfeste Menschen, Schnupperpilger und einen schnellen Camino zwischendurch ist er klasse! Der Weg ab Ferrol hat mir, erst an der Ría entlang und dann durch das ländliche Galicien mit den Städten Pontedeume und Betanzos als Zwischentupfen besser gefallen als der ab A Coruna. Freilich ist die Stadt wunderschön, keine Frage, aber zwei Tage fast nur Asphalt, das muss man mögen.

 

Ich weiß, was ich von unterwegs gepostet habe, war nicht immer verständlich. Hier daheim musste ich selbst ganz oft erst überlegen, was ich denn da gemeint habe. Blöde Autokorrektur! Aber ich denke, jetzt geht es.

 

Habt ganz vielen Dank dafür, dass ihr mich begleitet habt! Ich hoffe, wir sehen uns bald auf einem anderen Camino wieder. Bis dahin wünsche ich euch allzeit und überall

!Buen Camino!